Wie zwei Künstlerinnen mit Hilfe der Fotografie aus Fremden Freunde machen
von Sylvie Kürsten, Berlin
Sylvia und Astrid Ackermann kommen beide aus Miltenberg am Main (Unterfranken), sind als Künstlerinnen jeweils ihre eigenen Wege gegangen, Astrid Ackermann als Fotografin und Sylvia Ackermann als Pianistin. 2021 sind sie für ein gemeinsames Kunstprojekt der Heimat noch mal auf den Leib gerückt. Mit dem Fotografieprojekt Biotope haben die zwei Schwestern den Bürgern dort ein Denkmal gesetzt.
25 Portraits von A wie Änderungsschneider über P wie Puppenstubensammlerin bis W wie Winzer die zunächst in der örtlichen „Galerie am Tor“ sowie in vereinzelten Schaufenstern von Miltenberg zu sehen sind (bis 15. August). Sylvie Kürsten, die Berliner Kulturjournalistin und Dokumentarfilmerin hat mit den zwei mit ihr befreundeten Künstlerinnen über ihr Projekt gesprochen, welches mehr Achtsamkeit als Aufmerksamkeit erzeugen will.
Frage: Wie seid ihr auf diese Idee gekommen? Schließlich arbeitet ihr als Schwestern ja nicht ständig zusammen. Lebst faktisch nur du Sylvia in Miltenberg, während Astrid nach München gezogen ist.
Sylvia Ackermann: Also ich habe schon länger drüber nachgedacht, etwas mit Astrid zu machen. Und in der Pandemie wurde man ja schon aus seinem Hamsterrad rausgeworfen. Da hab ich in Miltenberg eine Geige gekauft bei unserem örtlichen Geigenbauer, der auch in Biotope portraitiert ist und war ein paar mal da zum Spielen und zum Ausprobieren. Er hat mir dann jedesmal andere spannende Geschichten erzählt, von sich und von Miltenberg. Und da ist dann von einer Sekunde zur anderen die Idee geboren worden. Das muss man festhalten. Und zwar nicht, weil es etwas total Besonderes ist, sondern weil es etwas Normales ist, dass Menschen in einer Stadt leben, ihr Leben verbringen. Und es würdig ist, dass jeder Einzelne eigentlich auch irgendwie porträtiert wird.
Frage: Ihr seid beide Ende der 60er in Miltenberg geborene Frauen, die beide eine jeweils eigene künstlerische Laufbahn eingeschlagen haben. Inwiefern hat diese Kunstfähigkeit etwas mit eurem Heimatort, mit diesem 10.000 Einwohner fassenden unterfränkischen Ort zwischen Odenwald und Spessart zu tun? Was hat euch Miltenberg mitgegeben? Ihr sprecht ja in eurem Projekt auch von so einer Art von Humus, der da ist. Und die Frage ist: Habt ihr auch davon profitiert oder was ist euch mitgegeben worden?
Astrid Ackermann: Gar nix (lacht). Wir sind ja im Kloster aufgewachsen, bei Miltenberg, weil unsere Mutter und Großtanten und unser Onkel da schon immer gearbeitet und teilweise auch dort gewohnt haben. Also wir waren immer in so einer hermetisch abgeschlossenen Welt gewesen. In der Stadt waren wir eigentlich gar nicht. Und erst durch dieses Projekt bin ich jetzt wieder hingekommen, in der Pandemiezeit war ich mindestens einmal im Monat da. Und ich dachte: Wahnsinn, das ist Miltenberg, das ist ja echt schön!
Frage: Offensichtlich war das Projekt ein Anlass zum Zurück- und genauer Hinblicken in die Heimat. Unter den Portraitierten sieht man eine Dichterin mit Pferd, eine Bauernfamilie auf dem Feld, zwei junge Ruderinnen vor dem Bootslager, den Stadtimker in der Abendsonne. Viele Figuren, die die Gesellschaft als Handwerker oder Dienstleister mitgestalten, andere scheinen völlig willkürlich. Wie ist eure Auswahl zustande gekommen, was gab es für Kriterien?
Sylvia Ackermann: Also, ich lebe ja schon seit 20 Jahren in der Altstadt von Miltenberg. Und die Leute, die portraitiert sind, sind größtenteils die Leute, mit denen ich immer zu tun habe, die wie ich auch in der Hauptstraße wohnen. Die Ruderinnen sind meine Klavierschülerinnen und Jo, die mit dem Pferd, das war mal eine zeitlang eine sehr enge Freundin von mir. Deswegen war der Zugang sehr schnell da. Natürlich gab es welche, die gesagt haben „Um Gottes willen“, aber die meisten haben gesagt: „Oh ja cool!“. Das ist schon eine persönliche Auswahl, ohne dass man sagt, das ist repräsentativ. Und dadurch gab es natürlich auch ein paar Leute, die eingeschnappt waren, weil sie nicht in unseren Portrait- Kreislauf aufgenommen wurden. Aber das Ganze ist ja noch gar nicht zu Ende. Es geht ja weiter!
Frage: Aber erst mal müssen wir bitte zwei Schritte zurück, damit man versteht, wie diese Welle eigentlich entstanden ist. Ihr habt euch offensichtlich für eine unübliche Präsentationsform entschieden: d.h. euer Projekt geht über die Ausstellung in der Galerie im Turm, also über die heiligen Hallen der Kunst hinaus. So wie eure Porträtierten aus der normalen Welt kommen, so habt ihr versucht, sie zusätzlich in
der „normalen Welt“ auszustellen.
Astrid Ackermann: Wie in jeder anderen kleinen Stadt auch, so gibt es leider auch in Miltenberg ganz viel Leerstand. Und Sylvia war der Meinung, dass wir die Bilder in die leeren Schaufenster bringen müssten. Deswegen hab ich mir extra eine Mittelformatkamera gekauft, eine digitale, so dass ich die Fotos ohne Probleme auf A0 ziehen kann. Also, ich hab unzählige Bilder gemacht. Lediglich ein Teil davon hängt in der Galerie, die ja gar nicht so groß ist. Die restlichen Bilder haben wir in die Schaufenster getan.
Sylvia Ackermann: Ja, das macht etwas mit den Leuten, wenn sie portraitiert werden, wenn wir sie alle fünf Meter in der Stadt präsentieren, und wenn es viele sind und nicht nur ein oder zwei in der Galerie. Es ist einfach geil, wenn man merkt, was hier für eine Dynamik der Resonanz entsteht. Ich krieg Mails, ich krieg Whats-App-Nachrichten, Leute erzählen, von wem sie den Katalog geschenkt gekriegt oder ausgeliehen haben, weil er ja nach zwei Wochen schon ausverkauft ist und jetzt nachgedruckt werden muss. Und als ich donnerstags immer persönlich in der Galerie am Tor war, gab es High Life.
Frage: Aber was ist da jetzt eigentlich passiert? Dadurch, dass plötzlich Menschen sichtbar werden, dass eine ganze Gemeinde sich gegenseitig wahrnehmen kann. Wir sind jetzt in einem Wahljahr, uns wird immer mehr bewusst, dass wir uns alle in Filterblasen bewegen. Die Wahrnehmung des Anderen, die Empathie für den Anderen, das alles schwindet. Und ich habe mich gefragt, was kann so ein Projekt wie eures durch das Erzeugen von Sichtbarkeit eigentlich auslösen? Welche Eigendynamik hat es vielleicht schon genommen?
Astrid Ackermann: Allein die Vernissage, die war so rührend, weil da 120 Leute waren, und alle froh waren, sich plötzlich wieder so nah zu sein. Weil zwischendurch hatte man ja auch schon ein bisschen die Hoffnung verloren, dass wir uns überhaupt als Menschen wieder wahrnehmen können. Aber die Tatsache, dass du Gesichter siehst, das macht etwas mit der Achtsamkeit. Die Leute sind wieder aufeinander zugegangen an dem Tag. Wir Mitmenschen sind ja alle nur zusammen gut. Mein Lebensmotto lautet ja: Es gibt keine Fremden, nur Freunde, die man noch nicht kennt. Und wenn die Leute dann zum Schluss alle sagen, dass sie auch fotografiert werden und dass sie sichtbar werden wollen, dann ist das ja eigentlich das Beste was passieren kann. Im ersten Moment dachte ich mir zwar: Oh, scheiße, ich kann doch nicht alle fotografieren, das ist ja dann so nen Bürgerprojekt. Aber dann dachte ich, dass die Fotografie anscheinend ganz schön viel kann. Nämlich, dass man sich einfach wieder anschaut. zB. Jung und Alt.
Sylvia Ackermann: Eine unserer Ältesten, die Ingeborg. wollte in der Galerie ihre Berliner Sonette vorlesen. Mein Vater erzählte fränkische Mundartgedichte. Herr Lang teilte seine Geschichten vom Geigenbau Egal, wie viele Leute kamen, es ging uns darum, Menschen zu bewegen, von ihrer Art des Lebens zu erzählen. Und zwar nicht die Menschen, die sowieso immer hier schreien und etwas machen. Sondern die Anderen eben, denen wollten wir eine Plattform bieten. Also das ist jetzt nicht die erste Reihe, die wir fotografiert haben.
Frage: Es gibt eine lange Tradition von sozialkritischer Fotografie, da habe ich eure Bilder versucht einzuordnen. Aber das ist es irgendwie nicht ganz. Ihr guckt zwar sozial analytisch, aber ihr macht es mit einem ganz liebevollen Blick. Ihr seid nicht wie so oft meine Journalistenkollegen dahergekommen und portraitiert eine Gesellschaft etwa durch die Ausgestoßenen. Was war euer Blick, mit dem ihr herangegangen seid?
Astrid Ackermann: Nach meiner Lebensauffassung sind wir sowieso alle gleich. Und im Grunde genommen kann ich alles fotografieren. Aber worum es wirklich geht, ist meine Haltung dahinter. Diesmal ging es mir auch um eine Bildkombination. Also z.B. meinen Vater habe ich in der Kirche fotografiert und dann noch vor diesem Busch mit dem leuchtenden Laub. Es ist ein bisschen auch eine Heiligkeit. Ich wollte die Menschen autark und schön fotografieren. Nicht schön ausgeleuchtet oder die Falten retuschiert. Sondern weil alles schön ist, wenn es lebendig ist. Deswegen war für mich Priorität: ich nehme ganz wenig Equipment, meine Kamera und eine Blitzlampe, keinen schwarzen Hintergrund, sondern das, was da ist in seinem Umfeld. Ganz schlicht.
Sylvia Ackermann: Ich wollte auch nie das Skurrile oder das Ausstellungswürdige zeigen, das Vordergründige, sondern genau wie Astrid sagt, das Heilige, also das, was jeden Menschen schön macht, ohne dass gewertet wird. Die Orte haben wir immer schon sehr lange angeguckt. Aber die Leute sind dann innerhalb von ein paar Minuten fotografiert worden. Damit das Spontane und das Lebendige erhalten bleibt, weil kein Laie kann sich eine Stunde hinstellen und dann immer noch irgendwie bedeutend gucken.
Frage: Ihr habt auf mehreren Ebenen von Lebendigkeit gesprochen. Das bringt mich zu eurem Ausstellungs-Titel: Biotope. Macht jeder Mensch ein eigenes Biotop, einen Lebensraum auf? Oder gestaltet eher das Umfeld einen Menschen? Also wie kamt ihr zu diesem Begriff?
Sylvia Ackermann: Mir war der Begriff unheimlich wichtig, weil es fast etwas Religiöses hat, dieses Biotop. Das ist der Lebensraum. Vor allem natürlich bei den alten Leuten. Angefangen beim Geigenbauer über die Frau mit den Puppen und natürlich bis zu Ingeborg, die in dieser Welt der Gedichte lebt, einer Luftwelt sozusagen – also das sind ja Räume, in denen Menschen ein ganzes Leben verbringen. Und das ist es auch wert, sich so einen Raum zu schaffen, ein Leben darin zuzubringen und immer tiefer zu gehen und darin auch zu bleiben. Das ist zum Schluss ja auch etwas sehr Stabiles. Der Herr Lang, der ist 84 und der geht jeden Tag in diese Werkstatt und baut 10 Stunden seine Geigen. Ja, und das Wichtige wäre noch, dass wir auch lernen, diese Räume zu teilen. Zu Harry z.B. das ist der Mann mit den roten Socken, da kann ich immer hingehen. Also, wenn ich denk ich hab Lust auf nen Glas Sekt und ein gutes Gespräch, dann setzen wir uns genau unter diese Zedernbäume.
Frage: Da sprichst du einen wesentlichen Punkt an: Wenn man sich eure Fotos anguckt, dann hat man das Gefühl, dass man gern die Geschichten hinter den Personen hören will. Sie sind eine extrem gute Mischung aus Nähe und Distanz, sie geben nicht alles preis, haben ein Geheimis einfotografiert und erzeugen im Zuschauer das Bedürfnis, den Portraitierten unbedingt kennenlernen zu wollen. Erstens: Warum ist das so? Und zweitens: Liefert ihr auch die Geschichten dazu?
Astrid Ackermann: Die lachen nicht bei mir auf dem Bild. Die zeigen nicht Ihr persönliches Wunschgesicht, was ja auch immer so eine Art Verkleidung ist. Also ich hab immer versucht, dass man sich nicht präsentiert in seiner fröhlichen Freundlichkeit, sondern in seinem Selbst. Das zu erhaschen, ein bisschen Einblick darin zu bekommen, wie eine Person gestrickt ist, sie so zu entspannen, dass sie locker und souverän sind, das war mein Ziel. Deswegen auch diese Mittelformatkamera, da fotografiert man eh ein bisschen anders.
Sylvia Ackermann: Auf deine Frage mit den Geschichten kann ich nur so viel sagen: Ich hab von jedem einen 1-Minuten- Film gedreht und dieser lief auch in der Galerie. Also jeder hat mich reingelassen in seinen privaten Raum und hat erzählt, irgendetwas, nichts Bedeutendes.
Frage: Also man lernt sie kennen, die Bürger von Miltenberg. Und zwar in einer extrem sympathischen, überzeugenden Art. Zum Schluss wirkt das wie eine künstlerische Form der Bürgerversammlung, die eigentlich jede Stadt gebrauchen könnte. Hat euer Projekt etwa Modellcharakter? Wie denkt ihr da drüber? Oder birgt das das Risiko, Fotos von der Stange zu machen und einfach nur die nächste kommunale Imagekampagnen umzusetzen?
Astrid Ackermann: Natürlich mach ich das von der Stange, das ist doch super. Aber ich möchte natürlich auch Freiheiten haben. Also wenn, dann darf es definitiv keinen werblichen Charakter haben. Es darf halt nicht nur schön sein. Dann ziehen sie sich am besten noch die bessere Hose an und kaufen noch mal einen Anzug und dann ist die Bügelfalte drin. Ich mein, das Ding mach ich ja sonst im echten Leben. Aber für dieses Projekt wollten und wollen wir genau das nicht!
Sylvia Ackermann: Klar machen wir weiter. Wir sind Open End. Aber bestimmt machen wir keine Werbung. Manche Sachen lassen sich ohnehin nicht mit Geld aufwiegen. Das Projekt z.B hat bis jetzt auch nichts abgeworfen finanziell, null. Aber das macht auch nix. Schließlich hat es uns persönlich bereichert.
Bis 15. August 2021 lief die Ausstellung in der Galerie am Tor in Miltenberg. Am 10. September soll es eine Finissage geben. Der genaue Ort dafür und die Uhrzeit werden rechtzeitig bekannt gegeben. Jedenfalls sind die beiden Künstlerinnen dann noch einmal zusammen vor Ort. Und danach wird es sicher noch weitere spontane Aktionen rund um das unerschöpfliche Thema Biotope geben. Wir werden berichten!